Dienstag, 8. September 2015

71. Die evolutionspsychologische Sicht auf die 'Liebe' auf den ersten Blick

71.  Die evolutionspsychologische Sicht auf die 'Liebe' auf den ersten Blick

Wenn Menschen, die sich zum ersten Mal begegnen und nichts übereinander wissen, das erleben, was sie als selbst als 'Liebe' auf den ersten Blick wahrnehmen, dann läßt sich das evolutionspsychologisch erklären.   

Beide sind Opfer des eigenen, unbewußt wirkenden Fortpflanzungsinstinktes geworden, unabhängig davon, ob sie bewußt sich überhaupt oder nur in der fernen Zukunft fortpflanzen möchten.  Bewußt ist nur das beidseitige Ziel einer ernsthaften Dauerbeziehung.   
Wäre das Ziel die Straßenköterkopulation, würden die Betroffenen es nicht selbst als 'Liebe' bezeichnen.   Ohne im Rahmen dieses Textes den Begriff 'Liebe' definieren zu wollen, für ein ausschließliches Kopulationsbegehren wird er üblicherweise nicht verwendet.

Die wirklichen Gründe der Anziehungskräfte bleiben dem bewußten Erleben verborgen: 
  • Der Fortpflanzungsinstinkt des Mannes hat auf solche Signale des weiblichen Körpers reagiert, die erwarten lassen, daß er mit dieser Frau vermutlich viele gesunde Nachkommen bekommen könnte.  
  • Der Fortpflanzungsinstinkt der Frau hat auf solche Signale des männlichen Körpers oder diesem zuordenbare Statussymbole reagiert, die auf seine Befähigung dafür hindeuten, sie und die Nachkommen zu versorgen und zu beschützen.  

Die Kombination eines starken Fortpflanzungsinstinktes mit einer schwach ausgeprägten Fähigkeit zu rationaler Kontrolle über das eigene Verhalten äußert sich in der Annahme, daß der alleinige Zweck einer Beziehung die Befriedigung der körperlichen Triebe wäre und daß ein vom Fortpflanzungsinstinkt erzeugter wechselseitiger Drang zur körperlichen Intimität eine ausreichende Basis bilden würde.    
Wenn eine solche 'Liebe auf den ersten Blick' ausreicht, um nur damit als alleiniger Rechtfertigung eine Beziehung einzugehen, kann das für die davon betroffenen Menschen im schlimmsten Fall tragische Folgen haben.   Es kann aber auch gut gehen.   Das hängt davon ab, ob vom Fortpflanzungsinstinkt unabhängige Attribute wie z. B. Persönlichkeit, Interessen, Weltsicht harmonisieren oder zu Konflikten führen.   

Der Mythos, daß Toleranz ein erfolgreiches und ausreichendes Wundermittel wäre, um Harmonie zu erzeugen und friedlich miteinander auszukommen, verschlimmert die Folgen aller vorhandenen Konflikte.   Dadurch wird deren Ausbruch und Wirkung nur verzögert, ohne sich verhindern zu lassen.   
Toleranz ermöglicht es nicht zusammenpassenden, vom Fortpflanzungsinstinkt geleiteten Paaren lediglich, ihre Konflikte solange auszublenden und zu ignorieren, wie die anfängliche starke Triebbefriedigung anhält.   Zu dem Zeitpunkt, wenn dann mit der nachlassenden Leidenschaft automatisch auch die Wirkung der Toleranz verschwunden ist, gibt es oft bereits langfristige Verstrickungen wie Kinder oder Abzahlungen für Wohneigentum.   Ohne Toleranz wäre es gar nicht dazu gekommen.

Eine zu starke Determiniertheit durch den Fortpflanzungsinstinkt hat aber nicht nur den Effekt, daß unpassende Menschen Beziehungen eingehen, sie hat zudem auch noch den Nebeneffekt, daß die vorschnelle Ablehnung von möglichen Partnern ebenfalls vom Fortpflanzungsinstinkt entschieden wird.   Wenn ausschließlich 'Liebe auf den ersten Blick' als möglicher Beginn einer Beziehung in Betracht gezogen und erwartet wird, dann wird schon aufgrund der Nichtreaktion des eigenen Fortpflanzungsinstinktes bei der ersten Begegnung jemand automatisch als ungeeignet abgehakt.  


Diejenigen Menschen, für die bei einer Beziehung die körperlichen Bedürfnisse zwar mitentscheidend, aber nicht ausreichend sind, erleben 'Liebe auf den ersten Blick' auch als einen Startpunkt.   Aber sie sind immerhin rational und reif genug, um sich nicht blind vom Fortpflanzungsinstinkt kontrollieren zu lassen.   Sie berücksichtigen auch andere Aspekte beim Gelingen einer Beziehung und bemühen sich deshalb, vor der Entscheidung für eine Beziehung erst zu klären, ob sie auch bei den unsichtbaren Attributen zusammenpassen.   

 
Wer aber wirklich rational eine langfristige Beziehung aufbauen möchte, für den ist der körperliche Aspekt nur nachrangig insoweit von Belang, als daß man gegenüber dem Körper des anderen am Beginn neutral reagiert und keinen Abscheu gegen spätere Berührungen empfindet.   

Als unerläßlich wichtig im Vordergrund steht stattdessen die Klärung, ob man in Harmonie miteinander leben kann.  
Dazu gehört vor allem, daß man gründlich klärt, ob es kognitive und situationsbedingte Konflikte gibt, die sich nicht einvernehmlich vor dem Beginn einer Beziehung lösen lassen.    Falls es solche Konflikte gibt, ist das ein zwingender Grund, keine Beziehung einzugehen.   Toleranz löst oder verhindert keine Konflikte.  
Zweitens ist zu klären, ob es ausreichend Gemeinsamkeiten gibt, sowohl im Denken, um die Kommunikation langfristig lohnenswert zu machen, als auch bei den Interessen, die gemeinsame Aktivitäten ermöglichen.  


Daß sich Menschen derart vom Fortpflanzungsinstinkt determinieren lassen, selbst wenn Nachkommen gar nicht zur Lebensplanung gehören, ist zwar nur ein Extrem auf der Skala von der Instinktdeterminiertheit bis zum rationalen Verhalten der mehr kopfgesteuerten Menschen am anderen Ende.   Leider aber ist die soziale Norm der Geschlechterrollen und das, was als erstrebenswert weiblich und männlich propagiert wird, genau das, was den Fortpflanzungsinstinkt anspricht und fördert.    Wer sich vom Fortpflanzungsinstinkt beherrschen läßt, gehört zur normkonformen Mehrheit.   Wer sich dem entzieht, wessen Fortpflanzungsinstinkt schwach oder nicht vorhanden ist, wer sich deshalb rational verhält, ist ein Außenseiter und deutlich in der Minderheit. 


Der unterschiedliche subjektive Fokus beim Zweck einer Beziehung bedingt die Methode bei der Partnersuche und auch das Verhalten bei Online-Partnersuchportalen. 

Wer körperorientiert ist und wessen Partnerwahl deshalb vom eigenen Fortpflanzungsinstinkt abhängt, braucht dafür die persönliche Begegnung.   Wer das möglichst schnell und einfach erreichen möchte, sucht zwar online die Kontakte, möchte dann aber die Bereitschaft zu einem Treffen mit möglichst geringem Aufwand bei subjektiv als unnötig empfundenen weiteren Online-Aktivitäten erreichen.    

Solche Männer (ich beziehe mich dabei auf Beobachtungen bei meiner eigenen Partnersuche) veröffentlichen ein oder auch viele Photos, häufig mit sichtbaren Statussymbolen wie einem teuren Auto oder bei der Ausübung eines teuren Hobbys, oder sie präsentieren sich als Lackaffen in Anzug und Krawatte.   (Solche Photos haben immerhin einen echten Nutzen: Sie können Frauen wie mir als Warnung vor Protzen und Lackaffen dienen.)  Diese Männer schreiben wenig oder keinen Text, füllen selbst grundlegende Angaben in ihren Profilen nicht aus.    Sie reagieren entweder nur auf Profile von Frauen mit attraktiven Photos oder verlangen per Zuschrift als erstes ein Photo.  

Falls sie tatsächlich so wohlhabend, erfolgreich, groß, athletisch sind wie angegeben, überschätzen sie trotzdem ihre Wirkung.   Sie sind davon überzeugt, daß alle Frauen gerne umgehend den wechselseitigen Test des Fortpflanzungsinstinktes akzeptieren und ihnen nicht widerstehen können, ohne mehr wissen zu wollen.   Auch ein eigenes deutliches Profil hat bei denjenigen, die sich nur vom Fortpflanzungsinstinkt leiten lassen, keinen Nutzen.   Was für sie selbst so unwichtig ist, daß sie es nicht in ihrem eigenen Profil erwähnen, das wird auch bei anderen nicht ernst genommen, entweder trotz Lesens oder weil Profile gar nicht erst gelesen werden.   Werden sie dann aus im Profil deutlich erkennbaren Gründen abgelehnt, ist die Reaktion oft sogar aggressiv.  

Noch absurder aber sind diejenigen, die in ihren Profilen drastisch lügen, indem sie sich als deutlich jünger, größer, schlanker, reicher oder ungebundener präsentieren als sie sind.   Sie tun das, um eigentlich offensichtlich nicht interessierte Frauen zur Einwilligung zu einem Treffen zu manipulieren.   Offensichtlich sind auch diese Männer davon überzeugt, daß sie selbst dann noch eine unwiderstehliche Wirkung auf die Fortpflanzungsinstinkte von Frauen haben, wenn die Unwahrheit der Angaben sofort auffällt. 


Rationales Verhalten bei der Partnersuche erfordert ein völlig anderes Vorgehen.    

Was jemand in einer Beziehung auf keinen Fall akzeptieren kann, ist individuell verschieden und hängt von den eigenen Erfahrungen, den Gewohnheiten, den Bedürfnissen sowie den Grundwerten und Überzeugungen ab.   Mit zunehmendem Alter werden solche Inkompatibilitäten stärker und ausgeprägter.   Mit ein bißchen Nachdenken kann jeder für sich eine Liste der persönlichen Ausschlußkriterien bzw. unverzichtbaren Kriterien aufstellen.  
Nur wenn zuerst wechselseitig geklärt ist, daß es bei diesen Kriterien kein Konfliktpotential und keine Unvereinbarkeiten gibt, ist es sinnvoll, ein vertiefendes Kennenlernen zu starten.   Nur danach ist es wichtig, nach weiteren Gemeinsamkeiten zu suchen und mit dem Austausch von Photos auch zu klären, daß das Äußere wechselseitig nicht als abstoßend empfunden wird.    

Bei diesem Vorgehen ist es wichtig, sein Profil möglichst aussagekräftig und ausführlich auszufüllen.   Das spricht diejenigen an, die Ähnlichkeiten entdecken, ihnen bietet es einen Grund, um aufgrund von Anknüpfungspunkten Kontakt zu initiieren.   Auch erspart es denjenigen, die Konflikte und Unvereinbarkeit entdecken, die Mühe unnötiger Kontakte.  

Donnerstag, 3. September 2015

70. Die Tit-for-Tat-Strategie im Alltagsleben

70.  Die Tit-for-Tat-Strategie im Alltagsleben

Das Verhalten derjenigen, die vom religiösen Wahn befallen sind, es gäbe einen Gott, der in einem angeblichen Leben nach dem Tod für erlittenes Leiden einen Ausgleich schaffen würde, ist oft von diesem Wahn geprägt.   Einerseits sind viele bereit, sich aufzuopfern und Zumutungen zu erdulden.   Damit schaden sie sich selbst.  Noch viel schlimmer aber sind diejenigen, die anderen Schaden und Leid zufügen und das damit rechtfertigen, daß der angebliche Gott das spätestens nach dem Tod in Ordnung bringen würde. 

Wer hingegen rational ist, berücksichtigt nur die Zeitspanne bis zum Tod und orientiert sein Verhalten am Ziel eines gerechten Ausgleichs zwischen Nehmen und Geben, zwischen Schädigen und Erleiden.   Das läßt sich mit der Tit-for-Tat-Strategie realisieren. 
https://de.wikipedia.org/wiki/Tit_for_Tat

Das bedeutet, daß man reaktiv andere so behandelt, wie man selbst zuvor behandelt wurde.  
Wer proaktiv eine Interaktion initiiert, orientiert sich an der goldenen Regel.  Der andere wird als erster Schritt im Rahmen der Möglichkeiten so behandelt, wie er behandelt werden möchte.  

Für die Gestaltung des Alltagslebens nach dem Tit-for-Tat-Prinzip muß zusätzlich ein wichtiger weiterer Faktor berücksichtigt werden.   Dieser Faktor ist der Zweck von Interaktionen mit anderen Menschen.  Wenn dabei Erleichterungen beim Überleben und beim Bewältigen der Alltagsanforderungen im Vordergrund stehen, dann sind zwar Austauschbeziehungen von wechselseitiger Unterstützung erstrebenswert, während ein Kleinkrieg von wechselseitiger Rache niemandem etwas bringt.   Deshalb ist das Tit-for-Tat-Modell für das Alltagsleben um die Option des Interaktionsabbruches erweitert.

Wer im Diesseits gut und fair behandelt werden möchte, hat zwar oft keinen Einfluß auf das Verhalten von denjenigen, die ihn schädigen und ausnutzen wollen.   Aber er hat meistens die Option, sich diesem Verhalten erst gar nicht oder nur kurzzeitig auszusetzen.    Außerhalb von einigen Extremsituation haben die meisten Menschen die freie Entscheidung bei der Wahl der Interaktionspartner oder mindestens bei der Dauer oder Häufigkeit der Interaktion.  

Deshalb bedeutet für mich das gelebte Tit-for-Tat-Modell, daß ich nur Kontakt mit Menschen pflege, die mich gut behandeln und die mir dadurch Grund und Anlaß geben, sie auch gut zu behandeln.   Alle anderen sind es nicht wert, mich mit ihnen abzugeben.   Streit, Konflikte, Auseinandersetzungen bringen mir nichts.